Der Seelenfütterer - Klaus Bendel

Glauben (er)leben

Zeit für Träume

Predigt zu Johannes 12, 34-36

Bereits seit über 20Jahren kam er schon zu diesem Bahnhof und stieg immer in den selben Zug.  

Alle kannten ihn: Die freundliche Dame am Fahrkartenschalter, die immer etwas zu stark geschminkt war, der Student der sich als Kofferträger ein paar Euro dazuverdiente und die Frau im Kiosk, die so früh ihren Mann verloren hatte.  

Natürlich war da noch der Schaffner, der mit der immer leicht geröteten Knollennase und dem rundlichen Körperbau, ja und selbst der Lokomotivführer kannte ihn.  

Der Lokomotivführer sprach in der Regel nicht viel, doch für unseren Bahnreisenden nahm er sich gerne Zeit und unterhielt sich mit ihm, solange der Zug im Bahnhof wartete.  

Oft drehte sich das Gespräch um technische Dinge und dabei meist um ein ganz bestimmtes Thema. Beide waren große Liebhaber von Luftschiffen. Die silbernen Zigarren hatte es ihnen angetan. Zu Beginn des 2.Weltkriegs wurden die letzten Zeppeline auf Anweisung der Nationalsozalisten zerstört.  

So blieb den beiden nur noch das Träumen von der Fahrt mit diesen Giganten der Lüfte und der Freiheit in den Wolken.  

Die Begeisterung war riesig, als bekannt geworden war, dass die Zeppelinwerft in Friedrichshafen wieder zum Leben erweckt worden war und dort ein Zeppelin gebaut werden sollte. Kleiner zwar aber immerhin ein echter Zeppelin.  

Sie waren sich sofort einig: Sie würden sich ein Ticket kaufen und gemeinsam ihren Traum leben. In den Wolken  einen Hauch von Gottes Unendlichkeit erleben.  

Doch wie es im Leben so abläuft: Immer wieder wurde der Termin aus wichtigen, meist beruflichen Gründen verschoben.  

Verschoben bis zu dem Tag als der Lokomotivführer vergeblich auf seinen Freund wartet und der Schaffner auf ihn zukam: „Hast du es schon gehört? – Ein Herzinfarkt, er war sofort tot ..“   

Wie wichtig ein anderer Mensch werden kann, merkt man meist erst dann, wenn er oder sie nicht mehrt da ist.  

Sei es bei Mutter oder Vater, dem Ehepartner oder den Kindern.
Jeder weiß, dass unser irdisches Dasein nicht ewig dauert und dennoch sind wir traurig, fassungslos, wenn nicht sogar geschockt, sobald uns wieder ein lieber Mensch verlassen hat.  

Vor allem wenn der Tod viel zu früh, unvermittelt und überraschend zuschlägt.  

„Hätte ich das gewusst, hätte ich die verbliebene Zeit besser genutzt und mehr Zeit mit ihr oder ihm verbracht. Doch nun ist es zu spät …“  

Weniger schockierend aber ebenso traurig ist es wenn bereits bekannt ist, dass sie oder er an einer schweren, tödlichen Krankheit leidet. So besteht wenigstens die Möglichkeit Abschied zu nehmen.  

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Jesus war nicht krank und wusste dennoch, dass seine Tage auf Erden gezählt waren. Immer wieder, so auch eine Woche vor dem Passafest hatte er in Betanien auf sein Ende hingewiesen.  

Was war noch gleich dort  geschehen?
Jesus war nach Betanien gekommen uns saß mit Lazarus zu Tisch.
Ja, es war genau der Lazarus den Jesus von den Toten erweckt hatte. Als sie am Tisch saßen kam Maria uns salbte Jesus die Füße mit feinstem Salböl, so dass das ganze Haus danach duftete. Diese besondere Ehrung gefiel einem der Jünger Jesu überhaupt nicht. Judas Iskariot hielt dies für eine Verschwendung. Seiner Meinung nach hätte man das Salböl besser verkaufen und den Erlös den Armen geben sollen; oder zumindest ihm, der die Gaben an die Armen verwaltete.  

Jesus tat nun etwas Unerwartetes: Er nahm Maria in Schutz und wies Judas in seine Schranken. Jesus sagte zu ihm: „Lass sie in Frieden! Es (die Salbung) soll gelten für den Tag meines Begräbnisses. Denn Arme habt ihr  allezeit bei euch; mich aber habt ihr nicht allezeit“  

Bis zu seiner Hinrichtung wies Jesus immer wieder auf sein nahes Ende hin – so auch im Predigttext aus Johannes 12, die Verse 34 bis 36:  

Da antwortet ihm das Volk: Wir haben aus dem Gesetz gehört, dass der Christus in Ewigkeit bleibt; wieso sagst du dann: Der Menschensohn muss erhöht werden? Wer ist dieser Menschensohn?
Da sprach Jesus zu ihnen: Es ist das Licht noch eine kleine Zeit bei euch. Wandelt, solange ihr das Licht habt, damit euch die Finsternis nicht überfalle. Wer in der Finsternis wandelt, der weiß nicht wo er hingeht. Glaubt an das Licht, solange ihr´s habt, damit ihr Kinder des Lichts werdet. Das redete Jesus und ging weg und verbarg sich vor ihnen.
 

Kinder des Lichts werden – Sein Erbe antreten, seine gute Nachricht weitergeben. Vom Vater zum Sohn von der Mutter zur Tochter über Generationen hinweg – Von einem Kind des Lichts zum nächsten.  

Die Menschen, die Jesus begleiteten, seine Jünger und all die Gläubigen konnten sich wohl kaum vorstellen, wie klein die Zeit sein würde, die ihnen in der Gemeinschaft mit Jesus noch bleiben würde.
Wie wenig Zeit noch übrig ist, um von Jesus zu lernen, seine Art zu leben und zu glauben in sich aufzunehmen, um selbst ein Licht für die Welt zu werden und andere zu erleuchten.  

Sie dachten sicher: Jesus sterben – was für ein Quatsch! ER ist mit seinen 30 Jahren zwar ein erwachsener Mann, doch noch lange nicht alt. Er wird uns sicher noch lange erhalten bleiben. Er hat Gott auf seiner Seite, was kann ihm da schon passieren …?  

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Gottes Wege sind unergründlich – Wir begreifen oft nicht warum dieses oder jenes geschehen musste.  

Gerade eben erst haben wir es uns mehr oder weniger gemütlich eingerichtet in unserem Leben, da ist plötzlich alles anders.  

„Vater ist gestorben“, heißt es dann plötzlich und Mutter steht alleine da.
An wen soll sie sich nun wenden, wer gibt ihr Halt in schweren Stunden? Wer teilt nun Freud und Leid mit ihr …?  

Und der Sohn? Viele Jahre war er zerstritten mit dem Vater, er weiß schon nicht mehr warum ….
Wie oft hat er sie herbeigesehnt, die Versöhnung mit ihm?
Jeder wartete auf den ersten Schritt des Anderen und nun ist es zu spät.  

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Würde es auch für die frohe Botschaft des Jesus von Nazareth zu spät sein, sobald Jesu irdische Zeit abgelaufen ist?  

Er wusste, dass seine Zeit um Licht zu sähen begrenzt war. Umso wichtiger war es, dass seine Zuhörer und vor allem seine Jünger, jesusgemäß lebten und seine Lehre in sich aufnahmen.  

„Wandelt so lange ihr das Licht habt. Bald bin ich nicht mehr da und ihr müsst meinen Platz einnehmen. Dann müsst ihr sattelfest sein, vor allem in Glaubensfragen, denn die Finsternis wird versuchen euer Licht auszulöschen. Wie wollt ihr andere retten, wenn ihr selbst den Weg nicht finden könnt.“ So verstehe ich Jesu Botschaft.  

Christus hatte seinen Lichtsamen auf fruchtbaren Boden gesät. Aus der kleinen Gruppe von Jüngern wurden christliche Gemeinden. Zuerst nur in Israel, später im gesamten römischen Reich.
Die gute Botschaft war so überzeugend, dass die Weltmacht Rom ihnen Götzen abschwor und sich Christus zuwandte. Der christliche Glaube wurde zur Staatsreligion im damals mächtigsten Reich der Erde.
Heute gar, ist das Christentum mit rund 2,3 Milliarden Menschen, die weltweit am weitesten verbreitete Weltreligion.  

Bis heute scheint das  Osterlicht Jesu durch alle Dunkelheit, die unser Leben verfinstern will.
Er ruft uns zu: „Handle, gehe auf deine Mitmenschen zu, nimm sie mit auf deinen weg des Lichts. Lasse nicht zu, dass böse Gedanken oder alte Streitigkeiten eine Mauer errichten, die euch trennt.
Verfalle nicht der Trägheit. Schiebe das Notwendige nicht auf die lange Bank, sondern handle umgehend, wenn du siehst, dass jemand anderer sich verirrt hat …  

… und sei ihm ein Licht auf eurem Weg zu mir“.  

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Christus war gegangen und doch würde er für immer bleiben. Aufgefahren in den Himmel und doch hier und heute mitten unter uns.
Nur durch die Macht Gottes ist dies möglich.
Obwohl körperlich nicht anwesend, spüren wir seine Gegenwart.
Seine Augen in jedem freundlichen Blick,
seine Worte in einen tröstenden Satz,
seine Hände in jeder segnenden Geste.  

Wie die Sonne an einem kalten Frühlingsmorgen uns ihre wärmenden Strahlen schenkt, erwärmt uns Jesu Liebe auch in den kältesten und finstersten Stunden unseres Lebens.  

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Sie fragen sich vielleicht, was aus unserem Lokführer vom Anfang geworden ist?  

Natürlich war er auf der Beerdigung seines Freundes. Am offenen Grab wurden von den Trauernden Blumen eingelegt.  

Er gab ihm etwas anderes mit auf seine letzte Reise. So flatterte eine alte Postkarte aus Brasilien in das offene Grab. Darauf ein Stempel: „Luftpost via Graf Zeppelin 02.Juni 1932“  

So hatte er Abschied genommen und fuhr gleich am nächsten Tag mit der Bahn nach Friedrichshafen.
Er kaufte sich eine Flugkarte und startete zum ersehnten Rundflug.  

Als er so in der Gondel saß und die wärmende Sonne auf der Haut spürte, erfüllte ihn eine tiefe Ruhe.
Er spürte in seinem Herzen, dass
Jesu Zusage wahr und spürbar geworden war.

  

Der Tod konnte keine endgültige Trennung der Freunde bewirkten – Sie würden sich wiedersehen, irgendwo in Gottes Unendlichkeit.