Korn das in die Erde – Erzählpredigt zu Johannes 20, 20-24
Marcel geht den breiten Weg durch die Allee.
Es ist ein sonniger Tag und viele Menschen sind unterwegs.
Sie schauen Ihm nach.
Sie werfen Ihm Blicke zu;
Blicke von Mitleid, von Unsicherheit und …. auch von Hohn.
Bis vor wenigen Monaten konnte er sich überhaupt nicht vorstellen hier zu sein.
Doch hatte er einen harten Weg hinter sich.
Und manchmal muss man wohl einen solchen harten Weg gehen, um an sein Ziel zu gelangen; sein Ziel überhaupt erst erkennen zu können.
Noch können sie es wohl nicht sehen, die Männer und Frauen deren Blicke er eben noch im Nacken gespürt hatte.
Noch können sie nicht erkennen, dass ein erfülltes Leben mehr bietet als das sichere Gefühl eines prall gefüllten Bankkontos, der Stolz über den neuen Wagen oder das angesagteste Handy.
Auch er lebte bis vor kurzem in dieser „kleinen Welt“, wie er sie jetzt gerne nennt.
Eine kleine Welt, die sich immer nur um sich selbst dreht.
Eine kleine Welt in der „materieller Gewinn“ der einzige Gott ist, dem zu dienen lohnenswert erscheint.
Menschlichkeit ist hier zweitrangig.
Es weisen die „Großen“ dieser keinen Welt gerne auf Ihre Menschlichkeit hin, in dem sie sich mit der Unterstützung von verschiedensten Wohltätigkeitsinstitutionen schmücken.
Jedoch im Detail zeigt sich schnell, was hier wirklich zählt.
Es wird „optimiert“, was das Zeug hält.
Abteilungen werden zusammengelegt, und wer übrigbleibt, fällt durch das Raster und bleibt nicht nur übrig, sondern häufig auch am Boden liegen.
Doch das Mäntelchen der Wohltätigkeit kann die Natur dieser kleinen Welt nur zum Teil bedecken.
Immer wieder zeigt sie ihr wahres Gesicht: Profit um jeden Preis!
Was im Großen vorgelebt wird, dient im Kleinen als Vorbild.
Die Großen dieser kleinen Welt werden zum Vorbild jener, die auch mithalten wollen.
Jener, die sich all die Wünsche, die uns tagtäglich eingeträufelt werden, erfüllen wollen.
Ganz egal was sie abverlangen – abverlangen von sich und abverlangen von anderen.
– dabei sind auch diese Menschen eigentlich nur immer auf der Suche nach Glück und Erfüllung.
Auch er war bis vor gar nicht allzu langer Zeit ebenfalls Teil dieser kleinen Welt.
Wie viele andere junge Menschen, hatte er zunächst keine Perspektive für sich gesehen und wusste nicht was er mit seinem Leben anfangen sollte.
Das „schnelle Geld“ schien für ihn die Lösung zu sein.
Warum sollte er sich mit einer Ausbildung herumschlagen, die ihm vermutlich sowieso keinen Spaß machen würde?
Außerdem waren andere ja auch erfolgreich damit … so hatte er es gehört.
Nach ersten Erfolgen war er schnell danach süchtig geworden, immer mehr Profit zu machen.
Es wurde zu seinem einzigen Lebensinhalt.
Ihm war fast jedes Mittel recht, seinen Mitmenschen das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Die Versuchung war groß, die Grenzen zum Verbrechen fließend und eines Tages hatte er den Bereich der Legalität endgültig verlassen.
Er kannte kein Halten und doch musste er lernen, dass es Grenzen gibt, die sogar bis in seine kleine Welt, bis in seine Realität hineinwirken.
Nach einigen Betrügereien griff nach Ihm der lange Arm des Gesetzes.
Von einem Tag auf den anderen war plötzlich alles anders und er fand sich auf der Anklagebank vor Gericht wieder.
Er war noch jung an diesem Wendepunkt seines Lebens, gerade mal 20 Jahre alt. Da er bislang nicht auffällig gewesen war, wurde er zur Ableistung von Sozialstunden verurteilt.
Die Richterin wies ihn noch auf die Dringlichkeit hin, sein Leben zu ändern. Beim nächsten Mal würde er um eine Haftstrafe nicht mehr herumkommen.
Marcel bekam Angst.
Ins Gefängnis wollte er keinesfalls. Aber wie sollte es weitergehen …?
Nach der Urteilsverkündung kam ein junger Mann auf ihn zu. Ein junger Mann kaum älter als er selbst. – vielleicht 23 oder 24 Jahre alt.
„Hallo Marcel, mein Name ist Jonas. Ich bin Sozialarbeiter aus der Jugendgerichtshilfe und ab heute dein Ansprechpartner.“
„Hallo Jonas. … mein Ansprechpartner? – Ansprechpartner wofür?
„Na, zumindest mal für die Zeit deiner Sozialstunden. Hast du dir schon überlegt, wo du deine Stunden ableisten willst?“
Marcel war verwundert: „Ich darf mir das aussuchen?“
„Ja, natürlich – Das Ganze soll ja keine Strafe sein. Du sollst vielmehr die Welt mit anderen Augen sehen. Du sollst erkennen, dass es wirklich wichtige Aufgaben im Leben gibt.“
Er blickte den Sozialarbeiter fragend an. „Was steht denn zur Auswahl?“
„Kommst du besser mit jungen oder mit alten Menschen klar?“
„Wohl eher mit jungen, die wissen, worum es geht!“
„OK …!?“ Jonas zieht die Augenbraue hoch, überlegt kurz und meint dann zu Marcel: „Ich glaube ich habe das Richtige für dich. Nachher schicke ich dir eine Adresse. Wir treffen uns dort morgen früh um 9:00Uhr.“
„Wohin soll ich kommen?“
„Das wirst du sehen; und sei bitte pünktlich, wir wollen uns doch nicht wieder vor Gericht sehen.“ Mit einem Augenzwinkern lässt Jonas ihn stehen, geht den langen Flur zur Treppe entlang und entschwindet aus seinem Blick.
Am nächsten Tag treffen sich die beiden vor ---- dem Altenheim.
Verwundert fragt Marcel: „Was sollte die Frage mit jungen oder alten Menschen, wenn wir jetzt doch ins Altersheim gehen?“
Jonas grinst: „Das Altersheim hier ist nicht unser Ziel. Das wäre sicher auch sehr interessant für dich geworden. Aber du wolltest ja zu den Jungen. Und ich kann dir sagen, die haben es dort wirklich voll drauf!“
„Komm, unser Ziel liegt dahinten.“ Jonas deutet am Altenheim vorbei auf ein Gebäude, das steht rund 200m Meter weiter die Straße hinauf.
*Wohnheim für junge Menschen mit Behinderung* steht in bunten Buchstaben auf der weißen Tafel am Eingang zum Gebäude. Sie treten ein.
„onas kommt!“ Als sie durch die Eingangstüre kommen, empfängt die beiden ein blondes Mädchen im Rollstuhl.
„Hallo Anni, schau wen ich mitgebracht habe. Das hier ist Marcel!“
„allo cel“ Anni streckt Marcel ihre Hand hin, um ihn zu begrüßen.
Marcel zögert kurz. Die Situation ist völlig neu für ihn. Er über überwindet sich und …
„Zu langsam!“ Anni zieht lachend Ihre Hand zurück. Sie klatscht vor Freude in die Hände über den gelungenen Streich. Alle lachen und auch Marcel kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Das Eis ist gebrochen.
„Wie gesagt, das hier ist Anni. Sie ist 16 Jahre alt und von Geburt an geistig und körperlich behindert. Auf ihren eigenen Beinen gehen, kann sie nur kurze Strecken und auch das nur mit Unterstützung. Aber der Rollstuhl gibt ihr ein Stück Freiheit. Auch mit dem Sprechen hapert es. Aber sie macht sich nichts draus. Ich denke ihr beide werdet ganz gut miteinander auskommen.“
„Miteinander auskommen?“ Marcel wirkt nachdenklich.
„Ja, die nächsten 2 Wochen werdet ihr viel Zeit miteinander verbringen. Mach dir keine Sorgen, mit Anni habe ich das alles bereits besprochen; sie freut sich auf die Zeit mit dir. Lasst uns das Wetter ausnutzen und spazieren gehen.“
„Na denn Anni,… freut mich dich kennen zu lernen.
Darf ich deinen Rollstuhl schieben?“
„Na klar! Los geht’s!“
Seltsam .. Marcel fühlt sich plötzlich irgendwie wichtig und angenommen.
Die Zeit vergeht. Die Tage gleiten vorüber wie im Flug.
Auch nach den zwei Wochen Sozialdienst kommt er immer noch so oft es geht in das Wohnheim.
Auch sein Berufswunsch hat nun klare Konturen angenommen:
Behindertenhilfe, soll es sein. Was genau, wird sich erst noch zeigen.
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Es ist Sonntag.
Auf Wunsch von Anni haben Marcel und sie zusammen mit Jonas den Gottesdienst besucht und machen sich auf den Weg in den städtischen Zoo.
„Können wir uns kurz hinsetzen? Ich möchte das nochmals nachlesen.“
Marcel steuert die Parkbank an, die eben frei geworden war, nimmt sein Handy aus der Tasche und setzt sich hin.
„Was ist?“ Jonas ist etwas verwundert.
„Der Text von eben lässt mich nicht los. Ich muss ihn mir nochmals durchlesen.“
„Ach so der Predigttext. OK, dann lies aber laut, damit wir auch etwas davon haben.“
„Ja lesen“ meldet sich auch Anni zu Wort.
Marcel findet den Text schnell im Internet und liest vor:
Johannes 20, Vers 20 bis 24: Die Ankündigung der Verherrlichung
Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. Die traten zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollen Jesus sehen. Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen's Jesus. Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.
„Ich fühle mich auch ein bisschen so.“ Meint Marcel
„Wie? Du fühlst dich wie Jesus oder wie die Griechen?“
„Nein, eher wie das Weizenkorn. Auch mein altes Leben musste erst beendet werden, damit ich neu beginnen konnte. Und jetzt spüre ich es. Mein Leben bringt jetzt Frucht.
Reichlich Frucht für meine Mitmenschen und
besonders viel Frucht für mein eigenes Leben.
Und so gehen Marcel, Anni und Jonas den breiten Weg durch die Allee.
Es ist ein sonniger Tag und viele Menschen sind unterwegs.
Sie schauen Ihnen nach.
Sie werfen Ihnen Blicke zu;
Blicke von Mitleid, von Unsicherheit und …. auch von Hohn.
Marcel lächelt.
Aus dem Rollstuhl, den er vor sich herschiebt, meldet sich Anni zu Wort: „Weizenkorn?“
Marcel schaut sie fragend an.
Dann hält sie den Beutel mit dem Futter-Getreide in die Höhe:
„Weizenkorn! Gehen Ziegen füttern. Freun sich“
„Ja Anni, wir gehen jetzt Ziegen füttern. Freust du dich auch?
Ein heiteres Jauchzen erklingt, beantwortet ihm seine Frage und sie machen sich wieder auf den Weg. Unterwegs geht Ihm, wie ein Ohrwurm dieser eine Satz nicht mehr aus dem Sinn.
„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.“
Amen