Das Buch der Weisheit - Predigterzählung zu Johannes 15,26 - 16,4
Liebe Gemeinde,
Trost …
Wie oft in unserem Leben, haben wir ihn nötig?
Wie oft ist er so wichtig, wie das tägliche Brot oder die Luft zum Atmen.
Wenn uns wieder einmal etwas misslungen ist, wenn wir versagt haben, wenn wir jemanden verloren haben.
Dann ist es der Trost, der die Seele streichelt.
Doch kann man sich Trost nicht selbst zusprechen. Wir brauchen eine Trösterin oder einen Tröster, die oder der für uns da ist, uns bei der Hand nimmt und mit den richtigen Worten Ruhe und Frieden in unser Herz einkehren lässt.
Trost erfahren; wie in der Geschichte, die ich Ihnen heute mitgebracht habe:
„Thomas, ich wünsche dir viel Kraft, bei allem was nun vor dir liegt“ Tante Gertrud war die letzte, die die Trauerfeier verließ. Ein langer Tag lag hinter ihm. Die Beerdigung seines Vaters, die vielen Redner am Grab, die anschließende Trauerfeier; das alles hatte an ihm gezehrt. Er war froh, wenn man dies an einem solchen Tag so sagen darf, er war froh, dass nun alles vorüber war und er endlich zur Ruhe kommen konnte.
Allmählich registrierte er es: Sein Vater war tot – endgültig tot.
Alles was von ihm geblieben war sind seine Erinnerungen an ihn; seine Erinnerungen und dieses Buch, das da jetzt vor ihm lag.
Das „Buch der Weisheit“ hatte sein Vater es immer scherzhaft genannt. Darin waren die Erkenntnisse seines Vaters, vor allem in Bezug auf das Familienunternehmen aufgeschrieben.
Von klein auf war Thomas es gewohnt im Unternehmen seines Vaters ein und aus zu gehen. Geleitet wurde die Fabrik von seinem Vater. Später stieg dann noch sein älterer Bruder Achim mit ein. Gemeinsam führten Vater und Sohn das Unternehmen über viele Jahre hinweg recht erfolgreich.
Für seinen Vater, der zwischenzeitlich bereits das 75.te Lebensjahr erreicht hatte, stand fest, dass der ältere Bruder das Unternehmen nun übernehmen sollte.
Thomas hingegen führte das Leben eines reichen Unternehmerkindes ohne besondere Aufgabe. So lebte er mehr oder weniger in den Tag hinein. Probierte dieses, versuchte jenes ohne sich auf irgendetwas festzulegen. Er genoss dieses Leben ohne besondere Verantwortung.
Es war zwei Wochen nach Vaters 75ten Geburtstag, als die Familie die Nachricht bekam, die alles ändern sollte.
Achim war auf Geschäftsreise im Nahen Osten unterwegs. Auf dem Flug zu einem außerhalb gelegenen Fabrikgelände stürzte sein Helikopter ab. Es wurde gemunkelt, dass er abgeschossen wurde, aber das konnte nicht sicher geklärt werden. Nur eines war klar: Achim würde nie mehr zurückkommen. Achim war tot.
Für die Familie brach eine Welt zusammen. Eine Grabesstille war im Haus eingekehrt. In dem großen Herrenhaus, wo sonst immer reger Besucherverkehr herrschte war es so still, dass man das Ticken der Wanduhr im Treppenhaus des ersten Stocks bis ins Erdgeschoss hören konnte.
Tick-Tack … für die Menschen im Haus schien die Zeit still zu stehen.
Thomas Mutter war vor nicht einmal einem Jahr gestorben. Für seinen Vater blieben damals nun nur noch seine Firma und der Trost, dass sein Lebenswerk, sein Unternehmen bei Achim in guten Händen war.
Und nun …?
Achim war tot. Mit ihm war die Hoffnung gestorben, dass der Vater nicht umsonst gelebt hatte, dass er etwas bleibenden geschaffen hatte, etwas das die Zeiten überstehen würde.
Er kam sich vor wie ein Baumeister, ein Baumeiter einer Kathedrale, der seine Arbeit der nächsten Generation bereits übergeben hat und nun doch niemand hat, der seinen Bau in seinem Sinne fertigstellen kann.
Eine tiefe Leere und Verzweiflung überkamen ihn.
Eine Woche später wurden Achims sterbliche Überreste im Familiengrab neben seiner Mutter beigesetzt.
Vater war verzweifelt. Er hatte seinen ältesten Sohn verloren und sollte nun auch noch sein Lebenswerk verlieren? Es gab genügend Aasgeier, die auf sein Unternehmen scharf waren. Er überlegte hin und her. Schließlich kam er zu einer Entscheidung. So unwahrscheinlich und weltfremd es auch klingen mochte. Sein kleiner Thomas, der 23-jährige Nachzügler, der noch nie etwas in seinem Leben geleistet hatte, er sollte seine Nachfolge antreten.
Thomas war tief getroffen, vom Tod seines großen Bruders. Achim war 15 Jahre älter als er. Obwohl sie nicht den sehr engen Kontakt hatten, war Thomas ihm immer sehr dankbar, dass er die Verantwortung in der Familie übernommen hatte. So konnte Thomas sein Leben in „Freiheit“ genießen.
Nun war Thomas alleine mit seinem Vater. Thomas spürte, dass ihm etwas fehlte, durch den Tod seines Bruders, etwas das er nicht genau beschreiben konnte. Bis sein Vater mit den Plänen für seine Zukunft herausrückte: Du übernimmst das Unternehmen.
Thomas fand sich plötzlich mitten hineingestoßen in die Welt, die er bislang nur von außen betrachtet hatte, in die Welt der Verantwortung.
„Sieh her,“ Vater setzte sich neben ihm auf die Couch. Er hielt ein in Leder eingebundenes Buch in der Hand. „Ich hatte dieses Buch über Jahre hinweg mit meinem Wisse gefüllt. Alles was ich über das Geschäft weiß, steht hier drin.“ Mit zitternden Händen nahm Thomas das Buch in seine Hände und schlug es auf. „Ich möchte, dass du dir dieses Buch durchließt und zu Herzen nimmst, es ist mein Lebenswerk; es ist mein Buch des Wissens …“. Verblüfft schaute Thomas seinem Vater in die Augen. Er wollte zu einem Widerspruch ansetzen, doch Vaters liebevoller Blick ließ das nicht zu.
Es war wohl soweit, dass er sich die Früchte seines Lebens, die er bislang immer geschenkt bekommen hatte nun selbst verdienen müsste.
In den nächsten Wochen arbeitete er zusammen mit seinem Vater im Unternehmen mit, lernte alle Abläufe kennen. Er lerne schnell, doch musste er immer wieder nachfragen. Geduldig beantwortete er alle seine Fragen und ging mit ihm sein „Buch der Weisheit“ durch. Der Vater hatte Trost gefunden im Eifer seines jüngsten Sohnes.
Um das Unternehmen im Sinne seines Vaters führen zu können, musste Thomas lernen, die Abläufe in der Firma durch die Augen seines Vaters zu sehen, musste lernen wie sein Vater zu denken, musste quasi dem unternehmerischen Geist seines Vaters in sich selbst Raum zu geben.
Er gab sich alle Mühe, doch zufrieden war er mit sich selbst bei weitem nicht.
Doch er musste es lernen, denn irgendwann würde ihm sein Vater nicht mehr helfen können.
Vater starb an einem Freitagmorgen.
Sein Vater war mit der Gewissheit gestorben, dass sein Lebenswerk erhalten bleibt.
Könnte er dem gerecht werden? – So alleine wie er nun war?
Alles was von seinem Vater geblieben war sind seine Erinnerungen an ihn; seine Erinnerungen und dieses Buch, das da jetzt vor ihm lag. Das „Buch der Weisheit“.
Würde er das geistige Vermächtnis seines Vaters erhalten und weitertragen können?
Oder würde er nach und nach alles wieder verlieren?
Ich denke diese Unsicherheit des Thomas können wir durchaus nachvollziehen. Immerhin versucht er etwas zu erhalten, das ursprünglich nicht sein eigen war.
So ein geistiges Erbe lebt. Es muss gehegt und gepflegt werden, oft muss es auch gegen Widerstände verteidigt werden, sonst löst es sich irgendwann auf, wie der Morgennebel, wenn die Sonne kommt und den Tag erwärmt.
Ein geistiges Erbe. So etwas wurde auch uns hinterlassen oder besser zugesprochen.
Zugesprochen auch und besonders in den schweren Zeiten unseres Lebens. Ich lese aus dem Johannesevangelium
Kapitel 15 Vers 26 bis Kapitel 16 Vers 4:
26 Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis geben von mir. 27 Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen.
1 Das habe ich zu euch geredet, damit ihr nicht abfallt. 2 Sie werden euch aus der Synagoge ausstoßen. Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst damit. 3 Und das werden sie darum tun, weil sie weder meinen Vater noch mich erkennen. 4 Aber dies habe ich zu euch geredet, damit, wenn ihre Stunde kommen wird, ihr daran denkt, dass ich's euch gesagt habe. Zu Anfang aber habe ich es euch nicht gesagt, denn ich war bei euch.
Dieser Text ist Teil der Abschiedsreden Jesu. In Jerusalem bereitet er seine Jüngerinnen und Jünger auf ein Leben ohne seine körperliche Anwesenheit vor. Große Veränderungen stehen bevor, die über Jesu Tod und Auferstehung, Christi Himmelfahrt, schließlich in die Ausschüttung des Heiligen Geistes münden.
Die Geburtsstunde unserer Kirche an Pfingsten, wird begleitet von göttlichen Zeichen und Wundern. Wir alle, die wir Christus als unseren Herrn und Bruder anerkannt und angenommen haben, sind beschenkt mit diesem Heiligen Geist, des ersten Pfingstfestes. Indem wir unser Herz Jesus geöffnet haben, haben wir es Gott und Gottes Heiligem Geist geöffnet.
Wem dieser Zugang zum väterlichen Gott durch seinen Sohn Jesus Christus fehlt, wird diese Verbindung zu Gottes Heiligem Geist nicht verstehen. Wem dieser Zugang fehlt, wird Gott lediglich als den Gott Abrahams sehen und den neuen väterlichen Bund, geschlossen durch seinen Sohn Jesus nicht erkennen. Das ist in der Vergangenheit so weit gegangen und wird auch in der Zukunft so weit gehen, dass diese väterliche Verbindung als Gotteslästerung verstanden und von gewaltbereiten und extremistischen Andersgläubigen entsprechend „bestraft“ wird.
„Es kommt aber die Zeit, dass, wer euch tötet, meinen wird, er tue Gott einen Dienst damit.“
Bis heute bekommen Christen diese Vorrausage Christi zu spüren, mal intensiver, durch Verfolgung und Unterdrückung, mal geringer, durch die berühmten „Schiefen Blicke“, die einem als gläubigem Christ immer wieder zugeworfen werden.
Wie können wir dies aushalten?
Auch auf diese Frage gibt Christus die Antwort:
„Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis geben von mir.“
Die Christen der ersten Stunde kannten die Geschichten ihres Volkes. Gottes Geist war schon früher über einzelne Menschen gekommen und hat sie zu großen Taten befähigt.
Beeindruckt haben wir in der Schriftlesung gehört, wie Saul durch Gottes Geist befähigt wird als König zu herrschen, obwohl er selbst nicht so wirklich an sich glaubt. Er erkennt: Mit Gottes Geist ist alles möglich.
Doch ist er gleichermaßen auch das beste Beispiel, wie endlich dieser göttliche Zustand sein kann. Saul stellt sich den Befehlen Gottes entgegen und ohne Gottes Heiligen Geist verliert König Saul letztlich alles.
Wenn wir uns auf Gottes Heiligen Geist einlassen, wer garantiert uns, dass Gott uns seinen Heiligen Geist nicht wieder entzieht. Wer garantiert uns, dass es uns nicht so ergeht wie König Saul?
Einen gibt es!
Und Sie und ich, kennen seinen Namen.
Es ist derjenige, der diese ganz besondere Verbindung zu Gott für uns hergestellt hat.
Es ist derjenige, der alle unsere Schuld auf sich genommen hat, damit uns der allmächtige Gott als gütigen Vater und nicht als zorniger Herrscher begegnet.
Es ist derjenige, der den ersten Jüngerinnen und Jüngern versprach: „Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit …“
Es ist derjenige, der uns als seine Geschwister angenommen hat, der uns zum Bruder und Herrn geworden ist.
Es ist er, der einzige, Gottes Sohn Jesus Christus, der uns Gottes Heiligen Geist zugesprochen hat, zugesprochen hat für die Ewigkeit.
Jesus ist aufgefahren zu seinem und unserem Vater im Himmel. Sein Evangelium, seine Gute Nachricht, hat er uns hier gelassen, damit wir unser Leben damit füllen; unser Leben damit ausfüllen können.
Mehr noch: Wie Thomas aus unserer Geschichte die Weisheit, den Geist seines Vaters in seinem Unternehmen „weiterleben“ lässt, schickt uns der lebendige Gott, unser himmlischer Vater, seinen Geist immer wieder neu, damit wir in seiner Schöpfung, in seiner Welt, Jesu Evangelium erzählen und leben können und unsere Mitmenschen daran teilhaben lassen.
Sind wir bereit dieses „Erbe“ anzutreten?
Sind wir willens uns Gottes Heiligem Geist zu öffnen?
Geben wir Gottes Geist Raum in unserem Leben?
Lassen wir es zu, dass wir uns von Gottes Geist lenken lassen?
Sind wir bereit, trotz oder gerade wegen der „Schiefen Blicke“ Jesu Zeugen zu sein? Seine Liebe zu uns Menschen zu bezeugen?
Sind wir bereit unsere Nächste und unserem Nächsten von Jesus zu erzählen und sie zu begeistern?
Begeistern für die große Familie der Schwestern und Brüder des Jesus von Nazareth?
Gottes Sohn unseren Herrn und Bruder?
Doch was tun wir, wenn wir unsicher sind. Im Leben gibt es nun einmal nicht nur Schwarz oder Weiss, ja oder nein.
Der Thomas aus unserer Geschichte hatte immerhin noch das Buch seines Vaters, das Buch der Weisheit, das Ihm Trost gab weil es die Gedanken seines Vaters enthielt.
Und was haben wir?
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Uns, liebe Gemeinde geht es noch viel besser als Thomas, mit seinem Buch.
Zum einen haben wir als Christen auch ein „Buch der Weisheit“.
Vielmehr ein Buch der Weisheit, der Liebe und des Lebens.
Die Bibel, das Buch der Bücher. Gottes Weisheit und Liebe zu Papier gebracht. Hier können wir nachlesen, wenn wir einmal unsicher sind.
Hier finden wir Weisheit, Richtung für unser Leben und Trost bei allerlei Ausweglosigkeiten.
Zweitens haben wir das Gebet.
Wir nehmen Kontakt auf, sprechen unsere Unsicherheit gegenüber Jesus aus. Bitten um seinen Beistand. Wir bekommen zu spüren, dass Jesus, dass Gott uns nicht alleine lässt.
Als drittes haben wir den Heiligen Geist.
Öffnen wir unser Herz und unseren Verstand für den Heiligen Geist. Versuchen wir das was wir beim Lesen der Bibel und im Gebet zu spüren bekommen haben, in Worte und Taten umzusetzen.
Sollte uns das nicht so gelingen, wie wir es uns vorgenommen haben, ist das kein Grund zu zweifeln oder gar zu verzweifeln.
Denn Gottes Heiliger Geist ist es, der uns in solchen Situationen Trost spendet und Ruhe und Kraft gibt.
Mit und durch den Heiligen Geist können wir „Feuer und Flamme“ sein für die Gute Nachricht, damit auch unsere Mitmenschen
unseren göttlichen Vater
und Jesus, unseren Bruder und Herrn, erkennen lernen.
Christus spricht: Wenn ich erhöht werde von der Erde,
so will ich alle zu mir ziehen.
Erhöht von der Erde, weithin sichtbar hat er am Kreuz alle Schuld auf sich genommen
Und nun will er alle zu sich ziehen. Lassen Sie uns das Zeichen erkennen, das Jesus gesetzt hat mit seinem Tod am Kreuz und seiner Auferstehung.
Lassen Sie uns das Zeichen erkennen und lassen Sie uns davon erzählen.
Damit unsere Mitmenschen ihn als den erkennen, der er ist: Gottes Sohn und unser Fürsprecher beim Vater.
Geborgen bei Christus dürfen wir Gott „Vater“ nennen.
Dieses Versprechen Christi hat Bestand. Es gilt auch heute hier in Beihingen.
Es gilt für alle Zeit; denn Christus spricht:
„Und ich will den Vater bitten und er wird euch einen andern Tröster geben, dass er bei euch sei in Ewigkeit: den Geist der Wahrheit …“
Amen