Der Seelenfütterer - Klaus Bendel

Glauben (er)leben

Früher war alles besser ...?

Morgen ist Sonntag 

– endlich geht die anstrengende Arbeitswoche zu Ende.

Kurz vor Feierabend kommt sein Abteilungsleiter auf Ihn zu: Der Herr Direktor Morgenstern möchte dich sprechen.

Was kann er nur wollen? Vielleicht hat er endlich bemerkt, welche guten Leistungen ich in den letzten Jahren gebracht habe.
Schon vor dem Krieg habe ich immer alles gegeben.
Eine Gehaltsverbesserung könnte ich wirklich gut gebrauchen.
Es sind harte Zeiten im Februar des Jahres 1929.

Schlimme Zeiten hat er überstanden.
Jahre der Entbehrungen in den Schützengräben Frankreichs liegen hinter ihm.
Wir oft ist er dem Tode gerade so entronnen,
wie oft wurde der Kamerad neben ihm von einer Kugel dahingestreckt.
Wie durch ein Wunder blieb er weitgehend unverletzt.
So ging es ihm nun besser, als so manchem seiner Landsleute.
Der Krieg war zwar verloren, aber immerhin war er gesund und hatte Arbeit.

Als er das Zimmer des Direktors betritt nimmt er brav die Mütze ab.
 „Herr Direktor wollten mich sprechen?“

„Ja, Schmitt – treten Sie näher!“

„Sehr wohl!“

„Schmitt, ich danke Ihnen für Ihre Arbeit, die Sie in all den Jahren für unser Unternehmen geleistet haben. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass wir Ihre Abteilung schließen müssen. Wir haben keine Arbeit mehr für Sie - Ich muss Sie entlassen.“

„Aber Herr Direktor …“

„Hier!“ der schlanke Mann hinter dem Mahagonischreibtisch streckt Ihm einen Briefumschlag entgegen.
„Sie bekommen ein hervorragendes Zeugnis und noch einen Wochenlohn obendrauf – mehr kann ich leider nicht für Sie tun. Es tut mir sehr leid …“

Der Arbeiter steht wie versteinert da. Er rührt sich nicht.

„Mensch Schmitt, nun nehmen Sie doch den Umschlag!“

„Aber ..?“ – ungläubig nimmt er den Umschlag entgegen.

„Wenn ich etwas von einer freien Stelle höre, gebe ich Ihnen natürlich sofort Bescheid. Nochmals vielen Dank. Sie dürfen gehen .. alles Gute“

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Morgen ist Sonntag.

Nun sitzt er zuhause am Tisch.
Er nimmt allen Mut zusammen und öffnet den Brief

Zuerst liest er das Zeugnis.
Er bleibt an einer Stelle hängen: „ … in insgesamt 18 Jahren war Herr Schmitt uns stets ein treuer und geschätzter Mitarbeiter …“

„Ja, ja, … 18 Jahre treuer Mitarbeiter. Alles nichts wert …“

„Leider musste ich Herrn Schmitt wegen Arbeitsmangel entlassen. gezeichnet: Morgenstern - Direktor“

Ungläubig und wütend wirft er den Brief auf den Tisch.

„Das kann doch nicht wahr sein ..!“

Er nimmt das Schreiben vom Tisch und liest es nochmals durch.
Er könnte es immer und immer wieder durchlesen - es ändert nichts. Der Inhalt steht wie festgemeiselt vor seinen Augen.

Tränen trüben seinen Blick.
Tränen der Wut – Tränen der Enttäuschung – Tränen der Angst.

Kraftlos lässt er sich in den Stuhl fallen.

Der Brief gleitet aus seiner Hand.
Hilflos wie eine flügellahme weiße Taube, flattert der Brief zu Boden;
dann liegt er da – völlig regungslos.

Völlig regungslos
sitzt der Mann auf dem Stuhl.
Seine Gedanken kreisen um die Nachricht, die er heute erhalten hatte.
Eine Nachricht die sein Leben verändern wird.
Wie soll es nun weitergehen?

Er beugt sich nach unten. Neben ihm auf dem Boden liegt immer noch das Blatt Papier. Weiß und unschuldig liegt es da und doch birgt es in seinem Innern die schlimmen Worte:

„… wegen Arbeitsmangel entlassen!“

Er hält es zuhause nicht aus. Am Abend trifft er sich mit Freunden und Arbeitskollegen in seiner Stammkneipe.

„Du bist auch entlassen worden?“

Er nickt zustimmend, hebt das Bierglas und nimmt einen kräftigen Schluck.

„Alle 8 aus meiner Abteilung sind betroffen.  Schuld ist die Weltwirtschaftskrise, so steht es auch in der Zeitung.“

„Ja, überall werden gute deutsche Männer entlassen!“ entgegnet ein angetrunkener Mann am Tisch neben an, seine Stimme wird leiser:
 „gute deutsche Männer … “

Doch plötzlich brüllt er in den Raum: „Und das blos wegen der Juden!“

„Wieso wegen der Juden?“ Schmitt dreht sich um und schaut dem Mann direkt ins Gesicht. „Direktor Morgenstern war immer gerecht und gut zu mir. Nach dem Krieg hat er mir sogar sofort wieder Arbeit gegeben. „

Sein Gegenüber versucht sich zu rechtfertigen: „Das machen die doch nur, um ihren Geldbeutel zu füllen!
Die haben sich die Taschen gefüllt und wir sind in den Schützengräben verreckt ..“

Schmitt schaut ihn mit einer Mischung aus Unverständnis und Verärgerung an: „Ach du weist ja nicht was du redest. In meiner Kompanie waren damals 5 Juden und nur einer hat den Krieg überlebt.
Geh lieber nach Hause und schlaf deinen Rausch aus …“

Als Schmitt sich umblickt erkennt er in den Gesichtern, dass hier bei weitem nicht alle seiner Meinung sind.
Die unzufriedenen und von Zukunftsangst durchdrungenen Männer suchen einen Schuldigen,
einen Sündenbock,
den sie aus der Stadt jagen können.

Noch ist es nicht so weit, noch werden die Stammtischparolen der Judenhasser von den meisten belächelt oder zumindest nicht ernst genommen … aber der Samen ist gelegt.
Überall in Deutschland, spielen sich damals solche und ähnliche Szenen ab. Die Rufe werden lauter.
Die Rufe nach einem gesunden Deutschland
Die Rufe nach einem starken Deutschland

Es dauert noch rund 14 Jahre, dann übernimmt ein braungekleideter Politiker das Ruder in diesem Deutschland.
Und mit seinem Kommen verschwindet nach und nach das Lächeln aus den Gesichtern der Menschen, die das was folgt nicht für möglich gehalten hatten – nicht für menschenmöglich gehalten hatten …

Wie konnte es so weit kommen?
Die Ängste der Menschen waren ja berechtigt.
Es stand nicht gut um Deutschland, nach dem ersten Weltkrieg.
Doch erst das Schimpfen auf das jetzt und hier und die Glorifizierung der Vergangenheit, der so gennannten „Guten Alten Zeit“, wurden dann zu den Nährstoffe, die die Nationalsozialisten damals als Hoffnungsträger erscheinen ließ.
Hoffnungsträger, die letztlich Tod und unendliches Leid auf Millionen von Menschen brachten.
Falsche tödliche Hoffnung in einem christlichen Land
Falsche tödliche Hoffnung – geboren aus Angst, Neid und Hass.

Früher war alles Besser? – eigentlich sollten wir Christinnen und Christen es besser wissen.
Warum?
Ein Fundament unseres Glaubens ist doch die Bibel.

Und schon in der Bibel finden wir eine solche Geschichte.
Eine Geschichte über unzufriedene Menschen –
Eine Geschichte in der doch „früher alles besser war“.

Ich lese aus 4. Mose 21, 4–9:

Mose richtet die eherne Schlange auf

4 Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege 5 und redete wider Gott und wider Mose: Warum habt ihr uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier, und uns ekelt vor dieser mageren Speise. 6 Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben. 7 Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk. 8 Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben. 9 Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.

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So eine Lebensreise kann schon sehr beschwerlich sein.
Das haben die Israeliten auf ihrer Reise durch die Wüste auch zu spüren bekommen. 
Undankbarkeit gegenüber Gott stellt sich ein.
Es folgen Vorwürfe und Schuldzuweisungen.
Obwohl Gott sie mit dem lebensnotwendigen versorgt.
Es ist halt nie genug …
Von feurigen Schlagen, schreibt unser Text.
Von feurigen Schlangen die das Volk gebissen hatte.
Die feurigen Schlagen in den Herzen der Menschen, die sie vergiften,
- die Gemeinschaft der Menschen vor Gott vergiften.
Diese Schlangen winden sich, passen sich an
winden sich um die Herzen der Menschen
und ihr Biss ist tödlich!

Nach und nach spüren die Menschen, dass sie einen falschen Weg eingeschlagen haben.
Dass Unmut, Vorwürfe und Neid,
dass diese feurigen Schlagen mit den vielen unterschiedlichen Formen und Gesichtern,
dass Unmut, Vorwürfe und Neid letztlich zum Tod der Gemeinschaft und der Menschen führen.
Als sie all dies erkennen, bitten sie über Mose um Gottes Hilfe.
Und Gott hilft heraus.
Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben.  

Diese eherne Schlange wurde zum Zeichen Gottes für die Israeliten in der Wüste.
Sie war hoch oben - wirkte unerreichbar.
So wurde sie zum Zeichen für die Größe Gottes.

Und mehr noch: 
Sie wurde ein Zeichen für die Stabilität, die Gott in das Leben der Menschen bringen will.
Sie wurde ein Zeichen für die Beständigkeit von Gottes Liebe zu den Menschen.
Sie wurde ein Zeichen der Geborgenheit Gottes, die die Menschen umschließt, wie die Schlage den Stab.

Viele Jahrhunderte später hat Gott seinen Sohn zu den Menschen gesandt.
Jesus war im Namen Gottes unterwegs.
In seinem Namen und mit seiner Vollmacht.
Von vielen Wundern können wir in der Bibel lesen.
Von Heilungen an Körper und Seele,
ja selbst von der Auferweckung von Toten.

Früher war alles besser?
Eigentlich sollten wir Christinnen und Christen es besser wissen.

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Was geschieht heute?
Was geschieht, wenn Briefe mit schlechten Nachrichten verschickt werden…? … an die Schmitts unserer Zeit.
Briefe an Menschen wie du und ich.
Unvermittelt brechen da schlimme Situationen über uns herein.
Situationen von denen wir glauben ihnen nicht mehr Herr werden zu können.

Und auch heute finden sich schnell Menschen, die die Schuldigen an unseren Problemen ausmachen.
„Ja, die Flüchtlinge, die bekommen die Taschen gefüllt und wir Deutsche müssen schauen wo wir bleiben! – Die sind doch schuld, dass kein Geld für uns da ist!“

Und wieder sind da Politiker, die sich der Stammtischparolen annehmen.

Am Anfang werden auch sie belächelt.
Zwischenzeitlich sind sie eine Macht geworden. Eine gewählte Macht.
Und wieder werden Minderheiten diffamiert und beleidigt.

Wie auch immer …

Ich möchte die Probleme unserer Zeit nicht kleinreden.
Es gibt sie, wie es sie zu allen Zeiten gab.

Ungerechtigkeiten machen wütend. Das war schon früher so.
Unsicherheit und Zukunftsangst, sind ständige Begleiter von vielen Menschen.
Die Probleme müssen angegangen und für alle gerecht gelöst werden.

Doch was tun? Was tun gegen Stammtischparolen und Hassreden?


In einem Gespräch spricht Jesus zu dem Schriftgelehrten Nikodemus:
Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.  Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.

Wir, die an ihn glauben, werden das ewige Leben haben.
Was bedeutet das für uns?
Christus spricht weiter:

Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. 
Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet
;

Es ist die Vergebung Gottes, die uns durch die Erhöhung Jesu am Kreuz geschenkt wird.
Was wir bislang getan haben, muss uns nicht mehr belasten.
Wir schauen auf das Kreuz und wissen: Einer hat all das auf sich genommen, was wir Menschen vor Gott schuldig macht.
Wenn wir an Ihn glauben und unser Leben an ihm ausrichten, dann ist uns die Vergebung Gottes sicher.

Der Blick nach oben sagt uns:
wir sind geliebt
und wir sind geborgen
 – geliebt und geborgen bei Gott.

Wenn wir unser Leben an Christus ausrichten, dann werden wir es nicht zulassen, dass die feurigen Schlagen von Neid, Hass und Unzufriedenheit unsere Herzen vergiften …
Wenn wir statt dessen unsere Herzen Gott hin öffnen,
ihm im Gebet unsere Herzen öffnen,
dann spüren wir etwas von Gottes unendlicher Liebe zu uns Menschen, dann spüren wir die Kraft für die das Zeichen Gottes steht,

Mit dieser Kraft im Herzen, wird es uns auch möglich sein die Wüstenwanderungen unseres Lebens zu bestehen.
Es wird uns möglich sein den Stammtischparolen und Hassreden entgegen zu treten.

Genauso wenig wie früher nicht alles besser war,
ist heute nicht alles schlechter.

Zeigen wir unseren Mitmenschen die Sonnenseiten der Gegenwart. Menschenrechte, Freiheit, Gesundheit und vor allem Frieden.

Wir dürfen dankbar sein: Seit über 70 Jahren Frieden in unserem Land.

Natürlich gibt es immer mehr oder weniger gravierende Ungerechtigkeiten und Gefahren in unserem Leben, doch wir selbst haben es in der Hand uns davon nicht überwältigen zu lassen.

Wie einst die Israeliten ihren Blick zur Schlage erhoben und Heilung erfuhren, so können wir den Blick zu unserem Erlöser erheben.
Mit seiner Liebe in unseren Herzen können wir davon erzählen,
wie herrlich doch Gott alles gemacht hat.
Wir können davon erzählen und den Blick unserer Mitmenschen hierauf lenken.
Auf die schönen Dinge,
weg von Hass,
weg vom Neid
weg von der Unzufriedenheit.

Hin zu dem was wirklich zählt:

Zur Liebe der Menschen untereinander

Zur Liebe der Menschen zu Gott

Zur Liebe Gottes zu uns!

„Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“ –

- AMEN