Der Seelenfütterer - Klaus Bendel

Glauben (er)leben

Erzählpredigt zu Johannes 21, 1-14 von Klaus Bendel

„Leeres Netz oder wie die neugeborenen Kindlein“

Liebe Gemeinde,

Quasimodogeniti - wie die neugeborenen Kindlein, so lautet der Name unseres heutigen Sonntags.
Neue Wege gehen, neues erkunden und auch manchmal zurück gehen.
All dies steht uns immer wieder neu bevor; auch wenn wir längst erwachsen sind.
Dann fühlen wir uns ein bisschen, wie die neugeborenen Kindlein.

Auch mit 52 Jahren ist dies bei dem nicht mehr ganz so jungen Mann so, dessen Geschichte ich Ihnen heute mitgebracht habe:

Eine neue Aufgabe, eine neue Herausforderung. Ein bisschen wie ein neugeborenes Kind, hatte Michael mit gemischten Gefühlen seine neue Arbeitswelt erkundet. Ein wenig war auch Angst mit im Spiel, doch überwog die Zuversicht.
So hatte er voller Energie seine neue Arbeitsstelle angetreten, doch dann kam alles anders.
Trotz all seiner Mühen konnte er nicht richtig Fuß fassen und musste sich schließlich eingestehen, dass er hier fehl am Platz ist, die Aufgabe und die in Ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllen kann.
Was bleibt ihm nun?
Sollte er einfach so weitermachen?
Sich abmühen und abrackern, ohne den gewünschten Erfolg zu erzielen?
Es fiel ihm unendlich schwer dies vor sich selbst einzugestehen:
 „Ich bin gescheitert.“
Um wie viel schwerer war es, diese Erkenntnis nach außen zu tragen. Gegenüber seinen Kolleginnen und Kollegen, seinem Vorgesetzten diese Schwäche einzugestehen und einen Schlussstrich zu ziehen.
Der Weg war steinig und schwer zu gehen, doch wollte er nicht abwarten, bis er unter der Last zusammenbricht oder sein Vorgesetzter ihm die Entscheidung abnehmen würde.
So zog er selbst einen Schlussstrich und kündigte.

Bevor er dieses Wagnis eingegangen war, bestand für ihn kein Zweifel darüber, dass er richtig gut war, in dem was er tat. Seine frühere Arbeit hatte ihn mit Freude erfüllt. Doch irgendwie war da das Gefühl von Unvollständigkeit, ein Gefühl, dass hier noch mehr möglich sei; dass er mehr erreichen könnte.

Und nun? Was bleibt ihm nun?
Nur die Erinnerungen an eine so schöne Zeit?
Die Uhr würde er am liebsten wieder zurückdrehen, aber das geht ja nicht. Seine Stelle von damals ist längst wieder neu besetzt.
Ein anderer hat die Lücke gefüllt, die er hinterlassen hat.

Was bleibt ihm nun?
Ratlosigkeit umfängt ihn. Er fühlt sich verlassen und verloren.

Plötzlich klingelt das Telefon. „Andreas“, liest er auf seinem Handy und das Bild seines alten Schulfreundes grinst ihn an.
In diesem Moment überwiegt die Freude.
Die Freude darüber, dass da jemand an ihn dachte, der so weit von zuhause entfernt war.
Andreas war als Missionar in der ganzen Welt unterwegs.
Zuletzt hatte er ihn vor über einem Jahr gesprochen, damals war er in einem kleinen Dorf in der Ukraine.

„Hallo Andy, schön von dir zu hören! Wo steckst du und wie geht es dir?“

„Hallo Micha, mir geht es gut und dir; alles in Ordnung so weit?“

„Danke, gesundheitlich ist alles Ok, aber ich bin seit einer Woche arbeitslos. Das war halt nichts mit dem neuen Job, jetzt muss ich schauen, wie es weiter geht.
Aber zu dir: Komm sag: wo steckt mein großer Menschenfischer?“

„Du wirst es nicht glauben, aber ich bin hier, hier in der Stadt. Wollen wir uns treffen?“

„Natürlich! Ich freue mich riesig!“

 

So treffen sich die beiden Freunde.
Sie kennen sich schon seit dem Kindergarten, wurden gemeinsam eingeschult, gingen auf dieselbe Schule.
Bei der Konfirmation saßen sie nebeneinander und halfen sich gegenseitig beim Aufsagen der Glaubenssprüche.
Erst im beruflichen Leben trennten sich ihre Wege.
Nun ist Andy wieder da und Micha platzt schier vor Neugierde: „Komm, sag schon: Wo bist du denn überall gewesen, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Das muss doch schon 3 oder 4 Jahre her sein?“

Andy erzählt über seine Reisen. Über die Länder und über Menschen die er getroffen hat. Doch er fasst sich kurz, denn etwas anderes ist ihm wichtiger als seine Reiseerzählungen: „Jetzt ist es aber genug von mir. Komm erzähl, wie geht es dir? Du hast erwähnt, dass du arbeitslos bist? Was ist passiert?“

So öffnet Micha seinem Freund das Herz und erzählt:
 „Tag und Nacht habe ich geschuftet, aber es wollte einfach nicht gelingen. Ich habe es einfach nicht hinbekommen ….“

„Es klingt vielleicht etwas abgedroschen, aber vergebliche Nächte und vergebliche Tage gehören zum Leben“, meint Andreas.

„Du hast mich gestern Menschenfischer genannt. Kennst du noch die Geschichte der ersten Menschenfischer?
Auch sie hatten anfangs ein Problem, das deinem sehr ähnlich ist“

„Sie waren arbeitslos?“

„Na ja, nicht ganz. Aber auch sie wussten nicht, wie es weitergehen sollte.
Jesus war gekreuzigt, gestorben und begraben.
Am dritten Tag war er wie angekündigt auferstanden.
Er gab seinen Jüngern Vollmacht in seinem Namen in die Welt zu gehen und das Evangelium zu predigen.
Jesus war zwar wieder unter ihnen; …. aber auch nicht.
Er tauchte immer wieder auf und verschwand dann so plötzlich wie er gekommen war.
Unsicherheit, vielleicht auch ein wenig Angst  legte sich auf ihre Herzen.
So machten sich sieben von Ihnen auf den Weg in ihre Heimat Galiläa. Der See von Tiberias war ihr Ziel.“

„Ok – sie hatten eine Aufgabe und ein Ziel – doch was hat das mit mir und meiner Situation zu tun?“

„Lass mich dir die Geschichte vorlesen.“ Andy packt ein abgegriffenes Büchlein aus seinem Rucksack.
Es ist eine Bibel. „Die Geschichte steht im Johannesevangelium.
Es ist das letzte, das 21te Kapitel:

Der Auferstandene am See von Tiberias
1 Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See von Tiberias. Er offenbarte sich aber so: 2 Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. 3 Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich gehe fischen. Sie sprechen zu ihm: Wir kommen mit dir. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen sie nichts. 4 Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. 5 Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. 6 Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten's nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. 7 Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte: »Es ist der Herr«, da gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich in den See. 8 Die andern Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nur etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. 9 Als sie nun an Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer am Boden und Fisch darauf und Brot. 10 Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! 11 Simon Petrus stieg herauf und zog das Netz an Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. 12 Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen: Wer bist du? Denn sie wussten: Es ist der Herr. 13 Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt's ihnen, desgleichen auch den Fisch. 14 Das ist nun das dritte Mal, dass sich Jesus den Jüngern offenbarte, nachdem er von den Toten auferstanden war.

 

Nachdem Andy geendet hat, ist es eine Weile still.

 

Michael überlegt …und fängt plötzlich an zu sprechen:

„Damit ich das alles richtig verstanden habe: Die hatten sich auch die ganze Nacht über abgemüht; doch alles vergeblich.
Das sind doch alles erfahren Fischer, da auf dem Boot und doch haben sie keinen Erfolg. Sie haben alles richtig gemacht und doch bleiben die Netzte leer: Kein Essen und kein Geld. Nicht einmal für ein kleines Frühstück reicht es.
Da steht morgens plötzlich ein Mann am Ufer und spricht die erwachsenen Männer auch noch als Kinder an, fragt, ob sie nichts zu essen hätten und gibt auch noch den erfahrenen Fischern einen Tipp.
Etwas woran die Männer nie denken würden, weil es offensichtlich eigentlich keinen Sinn macht.
Sie sollen das Netz auf der rechten Seite auswerfen. Was für ein Unsinn! Warum sollten rechts vom Schiff jetzt plötzlich Fische sein, obwohl sie links davon leer ausgegangen waren?“

„Ja,“ meint Andy, „In der festgefahrenen Situation macht Jesus auf übersehene Möglichkeiten aufmerksam. Wider aller Vernunft sind sie erfolgreich und ihre Netze sind gefüllt, der Tag gerettet.“

„Gefüllt mit 153 Fischen!“ wirft Michaels ein „Meinst du, sie haben sei wirklich gezählt? Und warum gerade 153. Das ist doch eine seltsame Zahl….“

„Hierzu gibt es viele Zahlenspiele. Mir persönlich gefällt der Gedanke, dass griechische Zoologen damals 153 Fischarten kannten, so hat es zumindest Kirchenvater Hieronymus erwähnt.
Mit 153 Fischarten hat man die vollkommene Fülle im Netz.
Wenn die Jünger 153 Fische im Netz hatten, hatten sie alles bekommen, was man überhaupt bekommen konnte.
Jesus schenkt alles und das in Fülle – mehr geht nicht!“

„Tja, aber mein Netz ist immer noch leer …“

„Wenn du Augen, Ohren und dein Herz öffnest, dann wirst auch du ihn an deinem jetzt noch fernen Ufer sehen können.
Auch auf dich wartet einer,

wartet auf dich,
mit deiner Enttäuschung,
deiner Erschöpfung,
deiner Frage, ob das alles einen Sinn hat.“

„Wo ist Jesus heute? Wo finde ich ihn?“

„Jesus begegnen wir jeden Tag.
Mal im Großen, mal im Kleinen und oft so seltsam, wie in der Geschichte eben.
Eine Tür schließt sich vor einem und plötzlich stehen zwei weitere offen.
Eine neue Partnerin, eine neue Arbeitsstelle …. oder nach Jahren einen alten Freund wieder zu sehen und zu spüren: ich bin nicht allein!“

„Du hast recht. Ich hatte mich völlig verrannt in meine Arbeit.
Es gab nichts anderes mehr.
Wie viel wertvoller ist die Zeit mit dem zu verbringen was wir wirklich brauchen:
Mit Gesprächen, aufmunternden Worten oder solch eine Stelle aus der Bibel. Ich denke genau das sind meine 153 Fische.“

 

So sitzen die beiden noch eine ganze Weile zusammen und sprechen miteinander. Sie reden darüber, was bei ihnen im Lebensnetz hängen geblieben ist;
hängengeblieben von der Kindheit,
der Jugendzeit im Kreis der Familie,
und später als Erwachsene.

 

Beide spüren:

Jesus kommt in unseren Alltag.

Jesus zeigt Alternativen auf.

Und manchmal stellt er die Welt auf den Kopf.

 

Aber immer gilt eins:
Jesus ist da und bleibt!

Unser Leben füllt sich mit Gemeinschaft, Fürsorge, Hilfe und Freude.

Und all dies mitten in unserem Alltag.

 

 

Auch wenn es manchmal schwerfällt, unsinnig erscheint oder einfach nur seltsam.
Mit Jesus, der oft so weit entfernt scheint, können wir das Alte und Vergangene hinter uns lassen – denn der Schein trügt:
Jesus ist uns nahe, so nahe, dass wir mit ihm einen neuen Anfang machen können:

Einen neuen Anfang, wie die neugeborenen Kindlein.

 

AMEN