Die „Leehre" von der Ähre
Adalhard hatte sich schon gefreut auf die Reise nach Aachen. Nach diesem langen harten Winter war nun endlich der Frühling gekommen - alles grünte und blühte. Adalhard wollte in die Stadt fahren, um Saatkörner zu kaufen. Er hatte gehört, dort gäbe es Weizen, der doppelt so große Körner hervorbringen würde wie der Weizen den er sonst immer angebaut hatte. Doch am frühen Morgen hatte es plötzlich angefangen zu regnen. Ein Sturm kam auf, Blitz und Donner ließen das Haus erheben. Erst gegen Mittag beruhigten sich die Naturgewalten. Adalhard freute sich, denn nun konnte es endlich losgehen. Doch der Sturm hatte einige alte Bäume umgeknickt, die nun den schlammigen Weg in die Stadt versperrten. Er rief seine Knechte und machte sich an die Arbeit, die Bäume vom Weg zu entfernen. Sie mussten mehrmals den klapprigen Wagen beladen, bis alles Holz in das kleine Gehöft gebracht worden war, das Adalhard sein Eigen nannte.
Die Reise nach Aachen musste verschoben werden, denn schon zog ein neues Gewitter auf. Nachts, als ihn Blitz und Donner nicht schlafen ließen, schimpfte er leise vor sich hin: „So ein Elend! Hört denn der Regen nie auf? Den ganzen Tag musste ich knöcheltief durch den Schlamm stapfen, um die umgestürzten Bäume wegzuräumen. Wenn ICH das Wetter machen könnte, dann würde ich alles besser machen..." Mit diesen Gedanken schlief er ein.
Im Traum hörte er plötzlich eine Stimme: „Adalhard, warum bist zu so unzufrieden?"
„Wer spricht da?" antwortete er.
Wieder hörte er die Stimme: „Adalhard, warum bist zu so unzufrieden?"
„Das schlechte Wetter hat mir den ganzen Tag verdorben, dabei hatte ich mich so auf die Reise gefreut...," erwiderte er. „Wenn ich das Wetter machen könnte, würde ich alles besser machen!"
„So sei es!" sprach die Stimme. „Ich gestatte dir, das Wetter zu. gestalten. Wenn du sagst, dass es regnen soll, dann wird es regnen, wenn du meinst, die Sonne soll scheinen, dann wird sie scheinen. Das ganze Wetter liegt von nun an ganz in deiner Hand!"
„Welch ein seltsamer Traum“, dachte Adalhard, als er morgens erwacht war. Es regnete noch immer.
„Wenn es nur endlich aufhören würde, dieses Unwetter - ich sehne mich nach der Sonne“, dachte er - und tatsächlich hörte es auf zu regnen, und die Wolken verschwanden. Die Sonne schien in sein Gesicht und wärmte ihn.
Sollte es tatsächlich wahr sein? Das wollte er jetzt doch genau wissen: Ein leichter Regenschauer sollte genügen. Kaum hatte er daran gedacht, fielen schon die ersten sanften Regentropfen auf die Erde.
Er dankte Gott, denn er war sich sicher: Kein anderer war es, der im Traum zu-ihm gesprochen hatte.
Von nun an ließ er die Sonne scheinen, bis die Wege trocken waren und er in die Stadt fahren konnte, um seine Weizensamen zu kaufen. Nachdem die Körner im Boden waren, ließ er es regelmäßig - regnen, aber nur nachts, denn er wollte ja am Tag die Sonne genießen. Auch die Pflanzen schienen sich an dem regelmäßigen Wechselspiel zwischen nächtlichem Regen und täglichem Sonnenschein zu erfreuen. Sie wuchsen schnell in sattem Grün. Besonders der neue Weizen war eine wahre Augenweide.
Als nun die Zeit der Ernte näher gerückt war, ging Adalhard durch die Felder und erfreute sieh an den prächtigen Pflanzen. Doch etwas stimmte nicht mit ihnen. Sie waren kräftig und grün doch … die Ähren waren leer. Kein einziges Korn befand sich dort, wo er die reiche Ernte erwartet hatte. Hastig lief er durch das gesamte Feld - überall dasselbe Bild kräftige Pflanzen mit leeren Ähren.
„Oh Gott“, rief er mit hochgereckten Armen
„Oh Gott,- was hab ich nur falsch gemacht?"
Ganz einfach Adalhard“, sprach Gott „Du hast vergessen den Wind blasen zu lassen!"
Adalhard wollte sich schon selbst für die reiche Ernte danken. Er alleine hatte es in der Hand, doch ohne Gottes Hilfe ist es nichts geworden, obwohl alles so gut ausgesehen hatte. Er sah nur das Schlechte an Sturm und Wind. Dass der Wind die Pollen des Getreides weiter trägt und für die Bestäubung sorgt, damit eine reiche Ernte überhaupt erst wachsen kann, kam ihm nicht in den Sinn. Adalhard hatte die besten Vorsätze, und doch ist er gescheitert, weil er nicht die gesamte Schöpfung im Auge hatte, sondern nur sein eigenes Wohlbefinden.
Wie oft versuchten wir schon, die Kontrolle über die Schöpfung zu erlangen, doch immer wieder müssen wir eingestehen, wie wenig göttlich unsere Handlungen sind. Die Ergebnisse wie Klimawandel und Hungersnöte gereichen uns nicht gerade zur Ehre...
Doch mehr und mehr glauben wir, durch Forschung, Wissen und Technik selbst für uns sorgen zu können - ohne Gott... und ohne Dank?
Doch warum wächst aus der im Winter so dürr und tot scheinenden Weinrebe im Herbst die köstliche und volle Frucht? Der Mensch pflegt zwar die Pflanze, aber es ist Gott, der Leben schenkt.
ICH danke Gott für den Regen und den Sonnenschein, die uns Leben spenden,
für die Ernte – für das Leben
für den Wind und die Stürme unseres Lebens, die uns zeigen, wie klein und verletzlich wir sind...
..und ich danke Gott dafür, dass wir für IHN trotzdem das Größte sind.